Das Reformvorhaben des Bundministeriums für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) zur Regelung des Unternehmenssanktionsrechts und der Internal Investigations ist seit einigen Monaten in aller Munde.
Über Details der geplanten Novelle sprachen am 13.06.2019 unter der Moderation von Prof. Dr. Katharina Beckemper und Herrn Alexander Sättele die Referenten Prof. Dr. Katharina Beckemper, Prof. Dr. Alicia González Navarro, RiBGH Marcus Köhler und MDg. Dr. Matthias Korte (BMJV) im Rahmen einer Wistev-Veranstaltung in der Universität Leipzig (https://wistev.de/2019/03/28/13-06-2019-unternehmenssanktionenrecht/).
Frau Prof. Dr. Alici González Navarro berichtete über das spanische Rechtssystem und schilderte, dass der Oberste Gerichtshof in Spanien ein von der deutschen Rechtsordnung abweichendes Verständnis zur Beweislastverteilung im Strafverfahren vertrete. Danach müsse der Beschuldigte die von ihm behaupteten entlastenden Tatsachen auch beweisen. Die Referentin ließ keinen Zweifel daran, dass sie diese Rechtsprechung für unzutreffend hält.
Herr RiBGH Marcus Köhler befasste sich in seinem anschließenden Referat insbesondere mit der in § 437 StPO, § 76a StGB geregelten non-conviction-based confiscation und trat der hieran geäußerten – zum Teil vehementen – Kritik entgegen.
Anlass der Neuregelung seien nicht nur bestimmte Lücken der bisherigen Abschöpfungsregelungen, sondern auch völkerrechtliche Verpflichtungen aufgrund von durch die BRD geschlossenen Abkommen gewesen. Deutschland habe hier sogar „am Pranger gestanden“. Klassische Anwendungsbereiche dieser neuen Vorschriften seien z.B. Clan- und Drogenkriminalität.
Voraussetzungen der non-conviction-based confiscation seien demnach
• ein Ermittlungsverfahren, das wegen einer der in § 76a Abs. 4 S. 3 StGB genannten Katalogtaten geführt wurde (v.a. OK-Delikte, Terrorismus),
• die sodann ergebende Unmöglichkeit der Verfolgung oder Verurteilung wegen dieser Katalogtat, etwa weil sich der Tatverdacht insgesamt oder jedenfalls hinsichtlich der Katalogtat nicht erhärtet,
• die erfolgte Sicherstellung eines Gegenstandes im Rahmen dieses Verfahrens, allerdings nicht gerade wegen der verfolgten oder einer anderen Katalogtat.
• Rühre dieser wiederum aus einer anderen, nachweisbaren und konkretisierbaren Straftat her, so solle der Gegenstand dagegen im Rahmen eines selbstständigen Verfahrens eingezogen werden.
• Sodann soll nicht der Vollbeweis einer konkreten Straftat, sondern lediglich die richterliche Überzeugung von der Herkunft des Gegenstandes aus irgendeiner Straftat (!) ausreichen. An diese richterliche Überzeugung dürfen nach Auffassung des Gesetzgebers „keine überspannten Anforderungen“ gestellt werden. Es sei daher auch nicht nötig, dass die Tat im Einzelnen festgestellt werde.
• Abwägungsgesichtspunkte beschreibe § 437 StPO, wonach u.a. zu berücksichtigen seien
− das Ergebnis der Ermittlungen zu der Tat, die Anlass für das Verfahren war,
− die Umstände, unter denen der Gegenstand aufgefunden und sichergestellt worden ist, sowie
− die sonstigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen.
• Hinzuweisen sei schließlich auf die besondere Verjährungsfrist für die Abschöpfungsmaßnahme, die lediglich den entsprechenden Verdacht einer Anknüpfungstat innerhalb der letzten 30 Jahre (!) erfordere.
Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Vorschriften verwies der Referent darauf, dass der Prüfungsmaßstab nicht etwa die Unschuldsvermutung, sondern „lediglich“ die Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 Grundgesetz sei.
Dr. Korte berichtete, dass im Zuge des Reformvorhabens zum Unternehmensstrafrecht Gespräche mit zahlreichen Interessenvertretern geführt worden seien.
Im Hinblick auf die Neuerungen sei zunächst darauf hinzuweisen, dass die Strafrahmen auf 10 % des Vorjahresumsatzes des Betroffenen angehoben werden würden. Hierdurch werde eine Angleichung an das Kartellrecht erreicht.
Der Reformvorschlag habe insbesondere die bislang regelmäßig geäußerte Kritik an den fehlenden verbindlichen Zumessungsregeln für bereits vorhandene oder anlässlich von Verstößen eingeführte Compliance-Systeme aufgenommen. Es werde zukünftig Anreize für die interne Untersuchung von Rechtsverstößen und deren Offenlegung gegenüber den Ermittlungsbehörden geben.
Dr. Korte erwähnte in diesem Zusammenhang, dass das Bundeskartellamt die Relevanz von vorhandenen oder später eingeführten Compliance-Systemen deutlich geringer bewerte als das BMJV.
Der Referent wies weiter darauf hin, dass bei Rechtsverstößen unterhalb der Führungsebene dem gleichzeitigen Nachweis einer Aufsichtspflichtverletzung der Unternehmensführung entscheidende Bedeutung zukomme.
Bei grundsätzlich vorhandenen und funktionierenden Compliance-Systemen werde es zudem zukünftig die Möglichkeit einer „Verwarnung mit Strafvorbehalt“ geben. Zudem werde der Reformvorschlag auch eine Art von Kronzeugenregelung enthalten.
Überdies werde es eine dem § 153a StPO entsprechende Vorschrift geben, die insbesondere für kleine Unternehmen bei geringfügigen Verstößen Anwendung finden könne.
Neu eingeführt werde weiterhin die Möglichkeit von gerichtlichen Weisungen, z.B. zur Durchführung einer Untersuchung oder zur Einführung eines Compliance-Systems. Letzteres müsse durch eine zuständige Stelle erfolgen, die eine Art „Akkreditierung“ durchlaufen müsse.
Beim BMJV werde zur Erfassung der Verstöße ein dem Bundeszentralregister ähnliches System eingeführt werden, welches jedoch nicht öffentlich einsehbar sein werde.
Der Reformvorschlag werde keine drakonischen Maßnahmen wie die Zwangsverwaltung im Falle von gravierenden oder mehrfachen Verstößen beinhalten.
Auf Nachfrage von Herrn Rechtsanwalt Prof. Spoerr (Hengeler Mueller Rechtsanwälte) bestätigte der Referent, dass die Vorschrift des § 130 OwiG bestehen bleiben werde und die fahrlässige Verletzung von Aufsichtspflichten grds. auch zukünftig keine Straftat darstellen werde.
Regelungen hinsichtlich eines eventuell möglichen Regresses des bebußten Unternehmens bei den verantwortlichen Organen weise der Reformvorschlag bewusst nicht auf, da dies zivilrechtliche Fragestellungen betreffe.
Schließlich wies der Referent darauf hin, dass sich die in § 30 Abs. 2a OwiG verankerte Regelung zur Haftung des Rechtsnachfolgers auch in dem Reformvorhaben wiederfinden werde.
Interessant war zudem die Bemerkung von Dr. Korte, dass der Reformvorschlag die Möglichkeit einer zeitweiligen Aussetzung der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft unter Fristsetzung zum Zwecke der internen Aufklärung durch das betroffene Unternehmen aufweisen werde.