Das Landgericht Hamburg hat in einem noch nicht veröffentlichten Beschluss vom 17.08.2016 (Beschluss LG Hamburg 618 Qs 30/16) entschieden, dass die Korrespondenz sowie eigene Aufzeichnungen eines Mandanten mit einem zivilrechtlich beauftragten Rechtsanwalt im Gewahrsam des Mandanten in verfassungskonformer Auslegung des Paragraphen 97 Abs. 1 StPO beschlagnahmefrei ist. § 97 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 i.V.m. Abs. 2 StPO schützt bekanntlich seinem Wortlaut nach diese Beweismittel nur im Gewahrsam des Berufsgeheimnisträgers, nicht jedoch im Gewahrsam des Mandanten.
Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zu Grunde, in dem einem Geschäftsführer wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung zu Gunsten der Gesellschaft gekündigt worden war. Gegen diese Kündigung wehrte sich dieser zivilrechtlich und beauftragte zu diesem Zwecke Rechtsanwalt K. Den formalen Beschuldigtenstatus erhielt der Beschwerdeführer erst später durch eine Strafanzeige des Unternehmens nach Durchführung einer internen Untersuchung.
Im Rahmen einer späteren Durchsuchung beim Beschuldigten wurden beim Beschwerdeführer Korrespondenz zwischen diesem und Rechtsanwalt K. sowie den Sachverhalt betreffende Aufzeichnungen und Dateien beschlagnahmt. Diese dienten in Unkenntnis des Strafverfahrens der Rechtsverfolgung in dem Zivilprozess gegen den vormaligen Arbeitgeber.
Das Landgericht Hamburg entschied daher, dass in derartigen Fällen der Kongruenz des Verfahrensgegenstandes im Zivil- und Strafverfahren eine Trennung zwischen der Zivil- und strafprozessualen Zweckbestimmung nicht möglich sei. Daher müsse es dem rechtsuchenden Bürger auch für den Zivilprozess ermöglicht werden, seinem Rechtsanwalt alle Umstände offenzulegen, die für die Prozessführung von Bedeutung sind, ohne dass er zugleich eine spätere Verwendung derselben im Strafprozessrecht fürchten müsse.
Besonders hervorzuheben ist, dass das Landgericht die extensive Auslegung des § 97 Abs. 1 StPO weder von dem hier noch fehlenden Beschuldigtenstatus abhängig gemacht hat noch die formale Erteilung eines Strafverteidigungsmandates vorausgesetzt hat. Ein solches lag nämlich – trotz der missverständlichen Formulierung auf S. 5 („strafrechtliches Mandant erteilt“) – nicht vor. Rechtsanwalt K. hatte vielmehr nur gelegentlich der zivilrechtlichen Mandatsbearbeitung Hinweise und Einschätzungen strafrechtlicher Natur erteilt, ohne jedoch entsprechend beauftragt worden zu sein.
Die Entscheidung dürfte insbesondere für die Vielzahl wirtschaftstrafrechtlicher Mandate von erheblicher Bedeutung sein, bei denen der Beschuldigte sich zugleich in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren oder Schadenersatzprozess zivilrechtlich zur Wehr setzen muss. Des Weiteren ist die Entscheidung ein weiterer und begrüßenswerter Schritt zur rechtsstaatlichen Absicherung von Internen Untersuchungen im Auftrage von Unternehmen, bei denen ähnliche Problemfragen in der Vergangenheit recht kontrovers und nicht immer zu Gunsten der Beschlagnahmefreiheit diskutiert bzw. entschieden wurden.