RA Dr. Pragal nimmt Stellung zu den Vorwürfen gegen die interne Untersuchung beim RBB
(Versuchte) Strafvereitelung oder Sturm im Wasserglas?
tagesschau.de berichtete am 16.01.2023 (https://www.tagesschau.de/investigativ/rbb/rbb-aufarbeitung-anwaelte-101.html):
„Wenn über viele Stunden darüber gesprochen worden ist, welche Informationen an die Staatsanwaltschaft weitergegeben werden, dann wird am Ende das Ergebnis gestanden haben, dass nicht alle Informationen weitergegeben worden sind, und dann hat die Staatsanwaltschaft eben kein vollständiges Bild erhalten. Also, meiner Ansicht nach muss die Staatsanwaltschaft selbst ermitteln“, so Hellmann. Und Heger ergänzt: „Es besteht die Gefahr, dass durch die Vorauswahl des Materials durch die Anwälte eine gewisse Schlagseite entsteht“.
Vorgefilterte Unterlagen? Zur Pflicht von Ermittlern gehört es, sich ein Gesamtbild zu machen, so Paragraf 160 der Strafprozessordnung. Und da die Leitungsebene des rbb beteiligt war und im Laufe der Zeit immer neue Vorwürfe und immer neue Beschuldigte auftauchten, hätte die Generalstaatsanwaltschaft von Anfang an allumfänglich selbst beschlagnahmen müssen, meint Heger. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass von interessierter Seite nur „passende“ Beweismittel herausgegeben oder auch Beweismittel unterdrückt würden, sagen die Experten.“
Eine abschließende Bewertung des konkreten Einzelfalls auf der Grundlage der öffentlich kolportierten Fakten verbietet sich. Auch für die beteiligten Rechtsanwälte gilt die Unschuldsvermutung.
Doch wie wäre der Fall generell zu beurteilen, wenn tatsächlich im Zuge der internen Untersuchung und Berichterstattung gegenüber der Staatsanwaltschaft belastende Beweismittel zielgerichtet vorenthalten worden wären?
Die Kontroverse um interne Untersuchungen ist beileibe nicht neu – hierzu wurde fast alles schon gesagt:
Zunächst einmal ist zuzugeben, dass der Verzicht seitens einer Staatsanwaltschaft auf eine grundsätzlich zulässige und womöglich sogar gebotene Durchsuchung aus „Rücksicht“ auf eine interne Untersuchung ein gesetzlich nicht geregeltes Entgegenkommen darstellt, welches immanent das Risiko der „Schönfärberei“ und auch Beweisvereitelung birgt.
Umgekehrt dürften redlich durchgeführte interne Untersuchungen in vielen Fällen zu einer erheblichen Entlastung der Justiz, zur Aufdeckung bislang unbekannter Tatkomplexe und auch zu einer anderenfalls kaum denkbaren Verfahrensbeschleunigung geführt haben. All dies liegt offensichtlich im rechtstaatlichen Interesse.
Das gescheiterte Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft sah sogar Anreize für die Durchführung von internen Untersuchungen vor, sodass deren generelle Legitimität nicht mehr ernsthaft in Zweifel gezogen werden kann. Auf das „wie“ kommt es mithin an.
Doch kann durch das „Unterschlagen“ von Beweismitteln oder durch die aktive Entstellung des Sachverhalts z.B. in einem anwaltlichen Untersuchungsbericht sogar Strafvereitelung (§ 258 Abs. 1 StGB) begangen werden?
Mit dieser kaum diskutierten Frage habe ich mich in einem Kapitel des demnächst im Beck-Verlag erscheinenden Handbuchs „Richtiges Verhalten in der Compliance-Krise“ (https://www.beck-shop.de/engelhoven-richtiges-verhalten-compliance-krise/product/34039837) beschäftigt.
Meines Erachtens lässt sich Folgendes festhalten:
- Ausgangspunkt: Nach § 43a BRAO ist dem Rechtsanwalt das bewusste Verbreiten von Unwahrheiten ebenso wie die Lüge im Rahmen der Berufsausübung gegenüber jedermann verboten. Aus einem Verstoß folgt indessen keineswegs automatisch eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung.
- Eine Kanzlei, die mit einer „unabhängigen und objektiven Untersuchung“ beauftragt wurde, wird sich kaum auf gewisse Privilegierungen berufen können, die für Strafverteidiger gelten.
- Das bewusste Aufstellen unrichtiger Tatsachenschilderungen in Untersuchungsberichten unter Verstoß gegen § 43a BRAO zwecks „Beschönigung“ des Sachverhalts („Der Vorstand hatte keine Kenntnis…“) kann daher u.U. zu einer Strafbarkeit wegen (versuchter) Strafvereitelung führen, falls auch die subjektiven Voraussetzungen vorliegen.
- Auch bei dem bewussten Verschweigen von belastenden Tatsachen oder beim Vorenthalten von belastenden Beweismitteln kann eine Strafbarkeit wegen (versuchter) Strafvereitelung vorliegen, wenn ein objektiver Empfänger diese Information unter Berücksichtigung der Grenzen des selbst gesetzten Untersuchungsauftrages zwingend hätte erwarten dürfen (Sinnenstellung des Sachverhalts).
- Unzutreffende rechtliche Bewertungen können dagegen ebenso wenig Strafvereitelung darstellen wie die Wahrnehmung von prozessualen Rechten.
Unabhängig von Strafbarkeitsrisiken dürfte eine Irreführung der Ermittlungsbehörden meist katastrophale Folgen für die beabsichtigte „Deeskalation“ des Strafverfahrens haben und kaum zu „reparieren“ sein.
Ein solches Vorgehen verbietet sich daher nicht nur aus straf- und berufsrechtlichen Gründen, sondern auch angesichts des wohl verstandenen Mandanteninteresses wegen den sonst drohenden, unabsehbaren „Strafzuschlägen“ (sog. „negatives Nachtatverhalten“) sowie einer „verschärften Gangart“ der Ermittlungen.