Das Herbstkolloquium der AG Strafrecht im DAV wird jedes Jahr im November abgehalten und bietet als bundesweite Fortbildungsveranstaltung hochqualifizierte Beiträge und Informationen zu ausgewählten Themen. Außerdem wird auf dem Herbstkolloquium der Ehrenpreis „pro reo“ verliehen, mit dem ein/e Strafverteidiger/in oder eine Person des öffentlichen Lebens für ihren herausragenden Beitrag zur Förderung und Sicherung einer unabhängigen, uneingeschränkten und wirksamen Strafverteidigung ausgezeichnet wird. Geschlossen wird das Herbstkolloquium seit 2000 durch das Internetforum, das sich mit strafrechtlichen und strafprozessualen Fragen aus dem Bereich der Informationstechnologie sowie den technischen Grundlagen befasst.
Das Herbstkolloquium blickt auf eine lange Tradition zurück, die am 16.11.1984 im Kurfürstlichen Schloss in Mainz begann. Das diesjährige 37. Herbstkolloquium 2020 hat die Tradition eine Veranstaltung zu sein, auf der sich Kollegen/innen auch während einer Abendveranstaltung untereinander austauschen können, insofern unterbrochen, als dass das Infektionsgeschehen zu einer Umstellung auf ein digitales Format zwang.
Schon während der Begrüßung, mit der das Herbstkolloquium am 13.11.2020 pünktlich um 10:00 Uhr eröffnet wurde, wies der Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses der AG Strafrecht Dr. Dirk Lammer, Berlin darauf hin, dass es gerade unter den widrigen Rahmenbedingungen wichtig sei, sich gleichwohl für eine effektive Strafverteidigung einzusetzen und die Durchführung von entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen sicherzustellen.
Den Rahmen der Tagung steckte Prof. Dr. Florian Jeßberger von der Humboldt-Universität Berlin mit seinem Vortrag „Gute Strafprozessgesetzgebung – 50 Jahre Stückwerk“ ab. Er stellte in seinem Vortrag dar, dass die Reichsstrafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz von 1879 bis in die Gegenwart nie einer umfassenden Gesamtreform unterzogen worden seien. Daran knüpfte der Vortrag „Gute Strafprozessgesetzgebung – 50 Jahre aus Sicht der Verteidigung“ an, im dem der Hamburger Verteidiger Otmar Kury ausführte, dass Strafverteidigung seiner Ansicht zufolge ein Menschenrecht sei, älter als jede Verfassung.
Am Nachmittag stellte RA Dr. Christian Schmitz, Köln die Rahmenbedingungen der „neue Besetzungsrüge“ vor und entwickelte anschaulich praktische Handlungsmöglichkeiten für den Fall, dass der „falsche Richter“ mit einer Rechtssache betraut werde. Daran schloss sich thematisch passend der Vortrag zum „neuen“ Beweisantragsrecht an, in dem Leitender OStA Prof. Dr. Georg-Friedrich Güntge, Schleswig den integralen Eingriff in das bislang im Wesentlichen unangetastet Beweisantragsrecht deutlich machte. Passend zu dem Thema „Digitalisierung und KI im Strafverfahren“ wurde der Vortrag von RA Dr. Frédéric Schneider aus Hamburg digital aus dessen Büro übertragen. Er wies auf die Möglichkeiten hin, große Mengen digitaler Daten zu bearbeiten, machte aber auch deutlich, dass der Einsatz von sog. künstlicher Intelligenz im Strafverfahren mit großen Gefahren verbunden sei.
Am zweiten Tagungstag stellte Prof. Dr. Jörg Kinzig, Universität Tübingen die „Praxis der Verständigung“ und eine „Evaluierung des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“ dar. Im Anschluss daran nahm OStA Markus Hartmann, Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) NRW, Köln die Zuhörer mit auf eine Reise in den „digitalen Strafgerichtssaal“. In seinem fesselnden Vortrag stellte er schlaglichtartig innovative Möglichkeiten eine Modernisierung durch Digitalisierung der Hauptverhandlung dar, die seiner Überzeugung zufolge kommen werde.
Mit dem Ehrenpreis „pro reo“ wurde RiOLG a.D. Detlef Burhoff aus Leer/Augsburg ausgezeichnet. RA Jes Meyer-Lohkamp führte in der Laudatio aus: „Er hat die Fortbildungs- und Nachschlageliteratur neu erfunden. Seine Handbücher für das Ermittlungsverfahren und die strafrechtliche Hauptverhandlung haben Standards gesetzt und die Qualität der Strafverteidigung nachhaltig verbessert. Wie keinem zweiten ist es Burhoff gelungen, die Komplexität des Stoffes zu reduzieren und die Probleme knapp, klar und präzise auf den Punkt zu bringen.“ Die Preisübergabe wurde allerdings verschoben, bis „analoge“ Treffen wieder möglich sein werden.
Nach einer Kaffeepause diskutierten RA Dr. Christian Rode, Freiburg und RA Jes Meyer-Lohkamp mit Ministerialdirektorin Gabriele Nieradzik, BMJV, Berlin, RAin Sonka Mehner, Essen, Leitender OStA Prof. Dr. Georg-Friedrich Güntge, Schleswig und Dr. Jost Müller-Neuhof, Der Tagesspiegel, Berlin zu dem Thema „Justiz und Coronavirus“. In einer ungewöhnlich persönlichen Atmosphäre sprachen die Diskutanten dabei auch ihr Sorgen und Nöte an.
Abschließend stellten im traditionell von RA Dr. Panos Pananis, Berlin moderierten 21. IT-Forum Daniel Moßbrucker, freier Journalist, Berlin, OStA Markus Hartmann und RA Jens Ferner, Alsdorf aus Ihrer jeweiligen Sicht „Ermittlungen im Darknet“ und „Verteidigungsansätze bei Cybercrime“ vor.
Das 38. Herbstkolloquium wird – hoffentlich – wieder als Präsenzveranstaltung am 12. und 13. Oktober 2021 in Leipzig stattfinden und sich dem Thema „Kommunikation im Strafverfahren“ widmen.
RA und FAStR Jes Meyer-Lohkamp